Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Umsonst — zweckfreie Handlung, die eben nur getan wird, weil sie schön, gut und passend ist.

Umsonstigkeit

[pdf-embedder url=“http://www.europahaus.eu/blog/wp-content/uploads/2017/12/6illich.pdf“]

Zu Ehren von Ivan Illich wurden Zitate bei einer Gedenkveranstaltung zu seinem 90. Geburtstag in der Kosmopolitischen Bibliothek am 17. November 2016 gelesen.

Ivan Illich, 1926 in Wien geboren, 2002 in Bremen gestorben, war der wohl am tiefsten schürfende Kritiker der Verwestlichung der Welt. Katholischer Priester, der aufgrund eine Konflikts mit der römischen Glaubenskongregation Ende der 60-iger Jahre auf die Ausübung der priesterlichen Funktionen verzichtete, in den 70-iger Jahren weltberühmter Kritiker der modernen Selbstverständlichkeiten wie Entwicklungshilfe, Schule, Technik, Verkehr und Gesundheitswesen, wandte er sich in den 80-iger und 90-er Jahren historischen Studien zu: der Körpergeschichte, der Geschichte der Sinne, der „Stofflichkeit“ unserer Welt. Immer tiefer versuchte er sich an die Wurzeln des Absurdistans unserer westlichen Moderne heranzutasten.

Wie kann Ivan Illich am besten geehrt werden? Vielleicht, in dem man ihn selbst zu Wort kommen läst. Deshalb haben Marianne Gronemeyer und Franz Tutzer für die Veranstaltung im Europahaus einige Textpassagen ausgewählt, die einen Einblick in sein Denken und sein Werk geben können. Die Textausschnitte reichen von den 60-iger Jahren bis in sein letztes Lebensjahrzehnt und wurden durch kurze Hinweise zum Kontext, zum jeweiligen Hintergrund des gewählten Ausschnitts ergänzt. um das Verständnis zu erleichtern und es gelang einen inneren Zusammenhang von zunächst weit voneinander entfernt liegenden Aussagen erahnen zu lassen.

Ivan Illich wird als Sozialphilosop, Gesellschaftskritiker oder Kulturkritiker bezeichnet. Aber er was viel mehr als das: Er übte radikale Kritik an den Institutionen der industriellen Gesellschaft und an der endtmündigenden Expertenherrschaft. Illich war ein Lehrer und ein Meister sehr besonderer Art. In kurzen Auszügen aus seinen Texten zu Fragen unserer Gegenwart ist er an diesem besonderen Abend zu Wort gekommen.

Mit der zunehmenden Instrumentalisierung in der westlichen Gesellschaft geht der Mangel an Aufmerksamkeit einher für das, was man traditionell „umsonst“ nannte. Gibt es ein anderes Wort für die zweckfreie Handlung, die eben nur getan wird, weil sie schön, gut und passend ist, aber nicht, weil man mit ihr etwas erreichen, errichten, verändern, verwalten will? Du hast mich gebeten, über eine gnaden-lose Welt zu sprechen, und mir scheint, dass das geläufige Wort für das Gegenteil von zweckgerichtetem Handeln das absichtslose Handeln ist. Im Deutschen erfand ich das Wort Umsonstigkeit für solche Absichtslosigkeit, und es scheint hängen geblieben zu sein, auch wenn es in keinem Wörterbuch steht.

Aus: In den Flüssen nördlich der Zukunft (2006), S. 252

Ich bin also der festen Überzeugung,…dass der Verlust der Umsonstigkeit einen Aspekt der Moderne bildet. Einer der tiefer liegenden Gründe dafür ist, dass die Philosophen seit der Aufklärung im Großen und Ganzen nicht mehr über Ethik und Moral als Suche nach dem Guten sprechen, sondern zunehmend über Werte. …Werte stehen immer in Beziehung zu Effektivität und Effizienz, also zu einem Mittel, einem Werkzeug, einem Zweck. Am Ausgang der Moderne ist es sehr schwer geworden, sich ein Tun vorzustellen, das schön und gut ist, ohne in irgendeiner Weise zweckbezogen zu sein. Worauf es mir ankam, als ich mit dir über die Abwesenheit eines Sinnes für Gnade sprach, bezog sich auf dieses Fehlen eines Sinnes für das Absichtslose, Umsonstige. Um unser Hauptbild, unseren leitenden topos, den Samariter, wieder aufzugreifen: der Samariter handelt, weil sein Tun gut ist, nicht weil dieser Mann gerettet oder nicht gerettet werden kann, nicht weil dieser Mann medizinische Hilfe benötigt oder Essen braucht, sondern weil er – einmal angenommen, ich sei der Samariter – mich braucht. Was die Gegenwart des verprügelten Juden im Bauch des Samariters hervorruft, ist eine Antwort, die nicht zweckgerichtet ist, sondern umsonst und gut. Und ich behaupte, dass die Wiedergewinnung dieser Möglichkeit die eigentliche Frage ist, um die es hier geht – nämlich die Möglichkeit, dass ein schönes und gutes Leben vor allem ein Leben der Umsonstigkeit ist, und dass Umsonstigkeit etwas ist, das erst aus mir fließen kann, wenn es durch dich eröffnet und herausgefordert wird.

Aus: In den Flüssen nördlich der Zukunft (2006), S. 25

Kirche und Glauben

Die Ohnmacht der Kirche (1967)

Ich behaupte, dass nur die Kirche uns „offenbaren“ kann, was Entwicklung im vollen Sinne bedeutet. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss die Kirche erkennen, dass sie die Macht verliert, Entwicklung zu dirigieren oder hervorzubringen. Je weniger sie als Macht erreicht, umso wirksamer kann sie als Zelebrant des Mysteriums sein.

Wo diese Feststellung verstanden wird, stößt sie auf gleiche Ablehnung bei dem Vertreter der Hierarchie, der Kollekten dadurch rechtfertigen möchte, dass er seinen Dienst an den Armen verstärkt, und bei dem Rebellenpriester, der seine Amtstracht bei der Agitation als attraktives Panier verwenden möchte. Beide machen aus dem sozialen Dienst, den die Kirche leistet, einen Beruf. In meinen Augen repräsentieren beide ein Hindernis für die besondere Aufgabe der Kirche: die Verkündigung des Evangeliums.Ich glaube, die besondere Aufgabe der Kirche in der Welt von heute besteht darin, die Erfahrung des Wandels zu feiern. Um diese Aufgabe zu erfüllen, wird die Kirche allmählich die „Macht, Gutes zu tun“, die sie jetzt hat, aufgeben.…

Weder Tüchtigkeit noch Komfort noch Wohlstand sind Maßstäbe für die Qualität des Wandels. Nur die Reaktion des Menschenherzens auf den Wandel weist auf den objektiven Wert dieses Wandels hin. Die Erneuerung der Gesellschaft wird ein immer komplizierterer Vorgang. Immer häufiger und überlegter muss in erneuerndem Sinne gehandelt werden. … Ich glaube, dass solche erneuernden Aktionen immer häufiger von Gruppen ausgehen werden, die nicht der Autorität des Evangeliums, sondern radikal humanen Idealen verpflichtet sind. … Der Humanist von heute bedarf nicht des Evangeliums als Norm. Der Christ möchte sich die Freiheit bewahren, durch das Evangelium eine Dimension wirklicher Überraschung zu entdecken. Ich möchte meinen Glauben ohne jeden Zweck feiern.

Aus: Almosen und Folter, S.81 ff / Klarstellungen S. 42 ff

Klerikale Technokratie steht dem Evangelium noch ferner als priesterliche Aristokratie. Und vielleicht werden wir einsehen, dass Leistungsfähigkeit das christliche Zeugnis noch raffinierter verdirbt als Macht.“

Aus: Almosen und Folter, S.62 / Klarstellungen S. 54

Die Verderbnis

Du hast gesagt, Du willst mit mir über die corruptio optimi quae est pessima sprechen (die Verderbnis des Besten, die das Schlimmste ist), über die Tatsache, dass ich überall, wo ich nach den Wurzeln einer modernen Selbstverständlichkeit suche, ausnahmslos feststellen muss, dass diese im Verlauf des so genannten Zweiten Jahrtausends aus der Kirche entstand. Sie wurde, so meine ich, nicht zu einer postchristlichen Wirklichkeit, sondern zu einer pervertierten christlichen Wirklichkeit. …

So wie ich moderne Institutionen beurteile und auch zu verstehen hoffe, sind sie nicht einfach böse, sondern sündhaft, denn sie sind der Versuch, mit menschlichen Mitteln bereitzustellen, was nur Gott, dessen Ruf durch den geschlagenen Juden erfolgte, dem Samariter geben konnte – die Einladung, barmherzig zu handeln.

Aus: In den Flüssen nördlich der Zukunft , 2006, S.206

Ich will Dir eine Geschichte erzählen, die ich von Jean Danielou hörte, als er schon ein alter Mann war. Danielou war Jesuit und ein großer Gelehrter der Schrift und der Patristik, der in China gelebt und dort getauft hatte. Einer dieser bekehrten war so froh, dass er in die Kirche aufgenommen worden war, dass er versprach, zu Fuß von Peking nach Rom zu pilgern. Das war kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Und dieser Pilger erzählte Danielou, als er ihn in Rom wiedertraf, die Geschichte seiner Reise.

Zuerst sagte er, war es ziemlich leicht. In China musste er sich nur als Pilger zu erkennen geben, als jemand, dessen Reise zu einer heiligen Stätte führt, und man gab ihm essen, etwas Handgeld und einen Schlafplatz. Dies änderte sich ein wenig, als er in das Gebiet des orthodoxen Christentums kam. Dort sagten sie ihm, er solle zum Pfarrhaus gehen, wo es einen Platz umsonst gab, oder zum Haus des Priesters. Dann kam er nach Polen, das erste katholische Land, und stellte fest, dass polnische Katholiken ihm großzügig Geld gaben, um in einem billigen Hotel unterzukommen. Es ist die großartige christliche und westliche Vorstellung, dass es Institutionen – bevorzugt nicht einfach Hotels, sondern besondere Absteigen – für Menschen geben soll, die einen Platz zum Schlafen brauchen. Auf diese Weise mündet der Versuch, offen zu sein für alle, die in Not sind, in eine Schwächung der Gastfreundschaft und deren Ersetzung durch Fürsorge-Institutionen.

Entwicklung und Subsistenz

Entwicklung hat in allen Gesellschaften die gleichen Folgen: jedermann ist gefangen in einem Netz von Abhängigkeit von waren, die von gleichförmigen Maschinen, Fabriken, Kliniken. Fernsehstudios und Intelligenz-Pools ausgestoßen werden. Um diese Abhängigkeit zu befriedigen, muss mehr vom Immergleichen produziert werden: standardisierte, geplante Waren, für immer neue Konsumenten bestimmt, die von den Agenten der Experten geschult werden, das zu begehren, was ihnen angeboten wird. Ihr zudiktierter monetärer Warenwert wird in unterschiedlichem Verhältnis durch den Staat und den Markt bestimmt. Die verschiedenen Kulturen werden zu schalen Residuen eines traditionellen Verhaltensstils. …

Das autonome, schöpferische Handeln des Menschen, das notwendig wäre, um die Welt des Menschen erblühen zu lassen, verdorrt in Atrophie. Dächer aus Schindeln oder Stroh, aus Ziegeln oder Schiefer werden ersetzt durch Beton für die wenigen und Wellblech für die vielen. …

Das Geld entwertet, was es nicht quantitativ bewerten kann. Die Krise ist also für alle die gleiche: die Wahl zwischen mehr oder weniger Abhängigkeit von industriellen Waren. Mehr Abhängigkeit bedeutet die schnelle, endgültige Zerstörung von Kulturen, die einst die Kriterien für befriedigende Subsistenzaktivitäten bestimmten. Weniger bedeutet die vielfältige Blüte von Gebrauchswerten in Kulturen von hoher Aktivität.

Entwicklung impliziert grundsätzlich, vielseitige Fähigkeiten und reichliche Subsistenztätigkeiten durch Gebrauch und Konsum von Waren zu ersetzen. Entwicklung impliziert den Vorrang der Lohnarbeit vor aller anderen Arbeit. Sie impliziert die Erfassung der Bedürfnisse in Begriffen von Gütern und Dienstleistungen, die auf Grund fachmännischer Pläne massenproduziert werden. Und schließlich impliziert Entwicklung eine Umgestaltung der Umwelt in dem Sinne, dass Raum, Zeit und Materialien Produktion und Konsum fördern, aber gebrauchswertorientierte Tätigkeiten, die zur direkten Bedürfnisbefriedigung dienen, abwerten oder lähmen.

Aus: Fortschrittsmythen (1978), S.18

Diese Selbsterhaltungstätigkeiten nennt Ivan Illich im Anschluss an Christine von Weizsäcker ‚Eigenarbeit’. Eigenarbeit blickt über die warenintensive Gesellschaft hinaus: nach vorn, nicht zurück. Entwicklung hieß seit einigen Jahrzehnten der Ersatz von Unterhaltswirtschaft durch Ware. Eigenarbeit soll der Ersatz von Ware durch eigene Tätigkeit heißen. Eigenarbeit ist ein starkes Wort. Wir können es zur Bezeichnung dieser tabuisierten Möglichkeit verwenden.

Aus: Vom Recht auf Gemeinheit, S.52

Alle heutigen Zukunftsplaner versuchen das technisch Mögliche wirtschaftlich erreichbar zu machen, weigern sich aber, die unvermeidliche soziale Folge ins Auge zu fassen: das wachsende Verlangen aller Menschen nach Waren und Dienstleistungen, die das Privileg von wenigen bleiben werden.

Ich glaube, dass eine erstrebenswerte Zukunft davon abhängt, dass wir im Leben ganz bewusst dem Tun vor dem verbrauchen den Vorzug geben.

Aus: Entschulung der Gesellschaft, S. 81

„Caley: Gestern oder vorgestern sagtest Du – ich glaube mit Bezug auf die Hungerkatastrophe in der Sahelzone: ‚Das geht mich nichts an. (I don’t care) Ich möchte wissen, warum Du ‚care’ in diesem Sinn zurückweist.

Illich: Wenn wir das Wort care im modernen Englisch benutzen, ist es extrem schwierig, ihm die Bedeutung ‚Liebe’ zu geben, ohne ‚Liebe’ abzuwerten, zu entstellen. Professionelle Fürsorge (care) ist vorherrschend, medizinische Versorgung (care), die Sorge für den Schüler in der Schule, die Sorge für das eigene Auto, das gängige:’Take care!’ Oder: ‚Er ist so sorgsam (caring). John McKnight hat zu Recht ‚care’ die häßliche Maske der Liebe genannt. Natürlich ist es ein sehr gutes altes englisches Wort, das Jahrhunderte benutzt wurde; aber wenn Du Dich in der Literatur dieses Jahrhunderts umschaust, wirst Du finden, dass ‚care’ im Sinne der sogenannten helfenden (caring) Professionen ein sehr modernes Phänomen ist. Sie haben sehr wirksam und machtvoll den Alltagsgebrauch dieses Wortes verändert. So bin ich immer außerordentlich mißtrauisch, wenn jemand Moral auf ‚Care’ gründet. …

Die Experten definieren was das Minimum an Versorgung (care), die bereitgestellt werden muss, ist, wer sie braucht und auf welche Weise sie zugeteilt wird. … Care ist zur Ware geworden, wenn jemand sagt: ’Ich schulde dieser Person ‚care’, dann sagt er: Ich werde jene Ware herstellen, machen, produzieren, die auch ein ordentlicher Professioneller in diesem Fall anzubieten hätte. So bin ich mißtrauisch geworden gegenüber der Daseinsfürsorge (care), die sich die Professionellen auf die Fahne geschrieben haben.

Ich halte die professionelle Fürsorge für unvermeidlich entmündigend. Ich bin erbost, wenn mich ….jemand fragt: ‚Aber sind dir die Kinder mit den aufgeblähten Hungerbäuchen und den stockdünnen Beinen in der Sahel-Zone egal?(fühlst Du Dich nicht zuständig für sie, don’t you care?) Meine direkte Reaktion ist, dass ich alles tun werde, was ich kann, um jeden Anflug von Zuständigkeit (care) für sie aus meinem Herzen zu verbannen. Ich will das Entsetzen spüren (experience). Ich will die Realität, über die du mir berichtest, wirklich schmecken. Ich will meinem Gefühl von Hilflosigkeit nicht entkommen und mich damit beschwichtigen, dass ich mich ihr Elend angehen lasse und damit alles getan habe, was mir möglich ist. Ich will mit diesem unentrinnbaren Horror ,den diese Kinder, diese Personen erdulden, in meinem Herzen leben und mir bewußt sein, dass ich sie nicht aktiv, wirklich lieben kann. Denn sie zu lieben hieße – wenigstens so wie ich gebildet bin, nachdem ich die Geschichte vom Samariter gelesen habe – alles, was ich in diesem Moment tue, zur Seite zu legen und mich dieser Person zuzuwenden, sie aufzuheben. Es bedeutet, alles was ich an goldenen Denaren in meinem kleinen Täschchen bei mir habe, in die Hand zu nehmen und den Geschundenen in eine Herberge zu bringen, was damals ein Bordell bedeutete, wie es jener Palästinenser dem Juden, der in die Hände von Räubern gefallen war, tat. Ich müßte dem Wirt sagen: Kümmere dich um diesen Menschen. Wenn ich zurückkehre und hoffentlich ein bißchen Geld verdient haben werde, werde ich für alle Deine zusätzlichen Auslagen aufkommen.

Ich habe aber, wenn ich ehrlich bin, nicht die geringste Absicht, diesen Schreibtisch, diese Karteikarten, diese Exzerpte zu verlassen und diese kleine antike mexikanische Skulptur, die ich für einen Dollar gekauft habe, aber für die ich in einem New Yorker Antiquariat gut und gern 500 Dollar bekommen würde, zu verkaufen und das Geld zu nehmen und in den Sahel zu gehen, um dieses Kind in meine Arme zu schließen.

Ich habe nicht die Absicht, weil ich es für unmöglich halte. Warum sollte ich also so tun, als ginge mich dies Kind etwas an? Mir vorzumachen, dass ich zuständig bin (care), hindert mich daran, mich zu erinnern, was Liebe wäre; zweitens übt es mich ein, nicht liebevoll im ernsten Sinn des Wortes zu jener Person zu sein, die draußen vor dieser Tür wartet; und drittens hält es mich davon ab, mir die nächste Woche frei zu nehmen und mich an die Tür irgendeiner New Yorker Firma zu ketten, die ein Teil des ökologischen Desasters im Sahel ist.“

Aus: D. Caley: Ivan Illich in Conversation , S. 215 f

Frieden

Der moderne Krieg ist ein hochgradig gewerbliches Unternehmen geworden, dessen Geschäft das Töten ist Er hat einen Punkt erreicht, wo seine Durchschlagskraft nach der Leichenzahl bemessen wird. Sein friedenserhaltendes Potential hängt davon ab, dass er Freund und Feind davon zu überzeugen vermag, dass die Nation die unbegrenzte Macht besitzt, Tod auszuteilen.

Aus: Entschulung der Gesellschaft, S. 83

Wir sind alle verkrüppelt – manche körperlich, manche geistig, manche seelisch. Deshalb müssen wir gemeinsam daran arbeiten, die neue Welt zu schaffen. Es ist keine Zeit mehr für Zerstörung, für Hass, für Zorn. Wir müssen aufbauen: in Hoffnung, Freude und Feier. Lassen wir ab davon, die Strukturen des industriellen Zeitalters zu bekämpfen. Suchen wir lieber nach dem neuen Zeitalter des Überflusses mit selbstgewählter Arbeit und mit der Freiheit, der Trommel des eigenen Herzens zu folgen.

Aus: Almosen und Folter, S.11 / Klarstellungen S. 153

AUCH ICH SCHWEIGE HIER ÖFFENTLICH

weil ich mich in kein Gespräch über Völkermord hineinziehen lasse

weil atomare Waffen keine Waffen, sondern Völkermordinstrumente sind

weil ich im Zusammenhang mit atomaren Waffen weder von Krieg noch von Frieden sprechen kann

weil solches Schweigen eine Sprache ist, die überall verstanden wird

weil ich in einer Diskussion über Bedingungen, unter denen ich auf den Einsatz von Völkervertilgungsmitteln verzichten würde, zum Verbrecher werde

weil die Logik der wechselseitigen

atomaren Abschreckung Wahnsinn ist

weil ich nicht mit Selbstmord drohe

weil die Zone des Schweigens, die in der Nazizeit die Genozidmaschine der Vernichtungslager umgab, ersetzt ist durch eine Zone des Redens über die neuen Vertilgungsmittel

weil ich nur durch Schweigen in der Zone des Redens beredt sein kann

weil Schweigen nicht integrierbar und nicht regierbar ist

weil…

/1983

 

Marianne Gronemeyer, Erziehungswissenschafterin, Franz Tutzer, Ivan Illich Archiv, Bozen und Margit Jandrovits erzählten von Ivan Illich (1926-2002) und lasen aus seinen Texten.