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75 Jahre Vereinte Nationen  

Friedenssicherung, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit

Von Otmar Höll

Der Generalsekretär der UN, Antonio Guterres, beklagt in seiner Botschaft anlässlich der 75-Jahre Feierlichkeit zu Recht ein großes Defizit an multilateralen Lösungen und beschwor eindringlich mehr internationale Zusammenarbeit unter den Mitgliedsstaaten. Die Welt stehe vor einem Überschuss an multilateralen Herausforderungen, aber dem gegenüber bestehe ein Defizit an multilateralen Lösungen. Es brauche eine effektive Zusammenarbeit mit Visionen und dem Ehrgeiz, Problemen wie Klimawandel, Ungleichheiten und Benachteiligung von Frauen zu begegnen und den Kampf gegen Hass und Armut auf allen Ebenen zu führen.

 

Eine Definition und die Geschichte der UN

Im völkerrechtlichen Sinn ist eine Internationale Organisation (IO) ein Rechtssubjekt, damit ein Träger von Rechten und Pflichten. Es ist ein Zusammenschluss von mindestens zwei Staaten, der auf Dauer angelegt ist, sich in der Regel über nationale Grenzen hinweg betätigt und „gouvernementale“ – das heißt staatliche – Aufgaben erfüllt. Davon zu unterscheiden sind die „nicht- gouvernementalen“ Internationalen Organisationen (INGOs).

Die UN weisen gegenüber allen anderen IOs eine absolute Sonderstellung auf, da sie die einzige IO sind, die sowohl universell ist, alle – friedliebenden – Staaten können Mitgliedschaft erwerben, als auch einen umfassenden Aufgabenbereich abdecken. Sie stehen somit an der Spitze des globalen Multilateralismus. Die Wurzeln der VN reichen ins 19. Jahrhundert zurück, beginnend mit  den Den Haager Friedenskonferenzen (1899-1907), deren Ziel Abrüstung und die Entwicklung von Grundsätzen für die friedliche Regelung internationaler Konflikte war. Eine andere Wurzel liegt im unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg etablierten Völkerbund, der mit dem Ziel gegründet worden war, den Frieden in der Welt dauerhaft zu sichern. Der Völkerbund erhielt durch mangelndes Beitrittsinteresse  nicht den nötigen Einfluss. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war der Völkerbund praktisch gescheitert, eine neue Institution für eine internationale Friedensordnung der Nachkriegszeit musste gesucht werden.

Noch während des Zweiten Weltkrieges arbeitete US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit dem britischen Premierminister Winston Churchill die „Atlantik-Charta“  aus, in der schon einige zukunftsweisende Prinzipien der späteren UN-Charta festgelegt wurden. Unter Mitarbeit der Sowjetunion und der Republik China an der neuen Friedensordnung kam es dann zwei Jahre später am 30. Oktober 1943 zur Moskauer Deklaration der Vier Mächte, die auf eine schnellstmögliche Schaffung einer allgemeinen, auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten aufbauenden Organisation zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ausgerichtet war. Nachdem bereits im Juli 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods die Grundzüge eines geordneten weltweiten Wirtschafts- und Währungssystems und seiner künftigen Institutionen, dem Internationalen Währungsfond und der sogenannten Weltbank (IBRD) festgelegt wurden, berieten die Alliierten auf der Konferenz von Dumbarton Oaks nahe Washington auf ExpertInnen-Ebene weiter über die Gründung der UN.

Konferenz von San Francisco: Jugoslawien unterzeichnet die Charta der Vereinten Nationen. © United Nations News & Media

Nach Aufnahme Frankreichs in den Kreis der verhandlungsführenden Mächte konnte die Charta der Vereinten Nationen 1945 auf der Konferenz von Jalta mehr oder weniger fertiggestellt werden. Sie wurde am 26. Juni 1945 auf der Konferenz von San Francisco von 50 Staaten unterzeichnet und trat am 24. Oktober 1945 in Kraft. Die institutionellen Grundlagen für eine friedliche Nachkriegsordnung schienen damit gelegt. Seit 2011 hat die UNO 193 Mitglieder.

 

Die Charta der VN

Präambel der Charta der Vereinten Nationen © United Nations News & Media

 

Die „Charta“ ist der Gründungsvertrag der Vereinten Nationen. In der Präambel drückten die Gründerstaaten mit den berühmten Worten: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen…“ ihre Entschlossenheit aus, künftige Generationen vor der „Geißel des Krieges“ bewahren zu wollen, die Grundrechte des Menschen, Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie alle Nationen, ob groß oder klein zu stärken, die Achtung vor den Verpflichtungen des Völkerrechts zu wahren sowie den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit global zu fördern. Zu diesem Zweck sollte Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet werden und alle Staaten sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Drohung oder Anwendung von Gewalt enthalten (Art. 2/4). In diesen 75 Jahre alten Strukturen besteht die Charta von 1945, die für rund 50 Mitgliedsstaaten ausgelegt war, bis zur Gegenwart mit lediglich einigen Abänderungen weiter fort.

Organe
Die Generalversammlung ist das zentrale Gremium der Vereinten Nationen, jedoch liegt die wahre Macht beim Sicherheitsrat, denn die Resolutionen der Generalversammlung sind für die Mitgliedstaaten nur politisch, nicht rechtlich bindend. Im Sicherheitsrat sind fünf ständige Mitglieder vertreten: die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und die Volksrepublik China („Permanent Five“ – P5), die auch ein Veto-Recht haben. Die zehn nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats werden alle zwei Jahre neu gewählt.

Neben Generalversammlung und Sicherheitsrat zählen auch noch der Wirtschafts- und Sozialrat und der Internationale Gerichtshof mit Sitz im niederländischen Den Haag zu den Hauptorganen. Außerdem gibt es eine große Zahl von Nebenorganen und Sonderorganisationen, wie die Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO – mit Sitz in Wien), das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), das Weltkinderhilfswerk (UNICEF), das Welternährungsprogramm (WFP), der Internationale Währungsfonds (IWF), die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), das Welternährungsprogramm (WFP) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Die wichtigsten Ziele und Funktionen der UN


– Friedenssicherung

Generalsekretär Dag Hammarskjöld statte den Einheiten der U.N. Emergency Force (UNEF) in Abu Suweir, Ägypten, am 25. März 1957 einen Besuch ab. © United Nations News & Media

Die Friedenssicherung durch ein „System kollektiver Sicherheit“ zu garantieren, war eine der großen Ziele der UN zur Zeit der Gründung. Trotz des allgemeinen Gewaltverbots schließt die Charta die Gewaltanwendung jedoch nicht völlig aus. Sie ist neben dem individuellen Selbstverteidigungsrecht jedes Landes auf den Sicherheitsrat konzentriert: kollektive Maßnahmen gegen kriegsführende Akteure sind im Kapitel VII geregelt. Darunter fallen wirtschaftliche, kommunikative und sonstige nicht-militärische Sanktionen bis erforderlichenfalls hin zur Gewaltanwendung, wenn der Sicherheitsrat dies mit Zustimmung aller Vetomächte und einem Quorum von neun Staaten beschließt. Damit fungiert der Sicherheitstrat als einziger Träger des „Gewaltmonopols“.

Die „Blauhelme“ sind die Friedenssoldaten der UN. Sie waren als Mittel der passiven Friedenssicherung nicht in der Charta vorgesehen. Doch Dag Hammarskjöld und Lester Pearson entwarfen die Idee der Friedenssoldaten in Krisensituationen der 1950er und 1960er Jahre. Ihr Einsatz war gebunden an die Zustimmung der Konfliktparteien und hat ursprünglich lediglich Überwachungs- und Beobachtungsfunktion. Heute unterscheidet man vier unterschiedliche Missionstypen – von Beobachtung/Überwachung bis zum „robusten“ Mandat. Ein Mandat zur Entsendung von Blauhelmen kann nur der UN-Sicherheitsrat erteilen.

 

– Menschenrechte

Am 10. Dezember 1948 wurde die Charta um die „Allgemeine Erklärung der Menschenrech-te“ (AEM) ergänzt. Darin verkündete erstmals die Staatengemeinschaft, dass grundlegende Menschenrechte für jeden Menschen gleichermaßen gelten. Auf sie folgten weitere Menschenrechtsabkommen, die heute teilweise rechtlich bindend sind. Erst 1966 verabschiedete die Generalversammlung die beiden verbindlichen Menschenrechtspakte, die dann erst 1976 in Kraft treten konnten.
In der weiteren Entwicklung des Menschenrechtssystems markierte die Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien einen weiteren Meilenstein. Die 1990er Jahre waren allerdings auch von Rückschlägen geprägt und in der Folge wurde das Konzept der Schutzverantwortung (responsibility to protect) entwickelt.

– Entwicklungszusammenarbeit

Nach den relativ wenig erfolgreichen vier Entwicklungsdekaden wurden 2001 von den UN, der Weltbank, dem IWF und dem Development Assistance Committee der OECD die sogenannten Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) beschlossen, die acht Entwicklungsziele umfassten, die bis zum Jahre 2015 erreicht werden sollten. Diese reichten von lange bekannten Zielen, wie die Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, Primärschulbildung für alle, die Gleichstellung der Geschlechter bis zum Aufbau globaler Partnerschaften. Tatsächlich konnten in diesen Jahren einige der Ziele zumindest teilweise erreicht werden.

Noch ambitionierter sind nun die beim Gipfeltreffen der UN vom 25. bis 27. September 2015 beschlossenen 17 Ziele der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Durch ihre universelle Gültigkeit und aufgrund des ganzheitlichen Entwicklungsansatzes, welcher die drei Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Ökologie gleichrangig berücksichtigt und dabei auch die Wahrung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Good Governance, Frieden und Sicherheit einfordert, stellt die Agenda 2030 einen deutlichen Fortschritt der Entwicklung eines konsistenten und global orientierten Ansatzes dar, dessen Umsetzung sich allerdings erweisen wird müssen.

Allgemeine Kritik

In vielen Bereichen ihrer Tätigkeiten konnten die UN die in sie gesetzten hohen Erwartungen und die in der Charta vor 75 Jahren festgelegten Ziele nicht oder nur teilweise erreichen.  Während des Kalten Kriegs blockierten einander die Vetomächte, und spätestens seit dem Irak-Krieg der USA im Jahr 2003 sind die UN zudem in eine ernsthafte Krise geschlittert.

Im Zentrum vieler kritischer Stellungnahmen steht die Zusammensetzung und Organisation des Sicherheitsrats. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats machten in der Vergangenheit regen Gebrauch von ihrem Vetorecht, um Verurteilungen und Sanktionen gegen sich selbst oder befreundete Staaten abzuwenden. Der Sicherheitsrat als bedeutendstes Entscheidungsgremium der Organisation spiegelt die machtpolitischen Realitäten der heutigen Welt nicht mehr wider. Nach Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft so bedeutende Staaten wie Deutschland, Japan, Brasilien, Indien oder Nigeria streben seit Jahren einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat an. Eine Reform scheiterte bisher aber immer am Veto eines der fünf Vetomächte, und daran dürfte sich wohl auch in naher Zukunft wenig ändern.

Eines der großen Probleme der UN ist und bleiben die kaum vorhandenen inhaltlichen Kompetenzen. Damit die UN tatsächlich angemessene Handlungsfähigkeit erlangen könnten, wäre eine massive Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen an diese Organisation in allen drei Bereichen staatlicher Gewalt notwendig. Dazu ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber kein Staat bereit. Kritik von Menschenrechtsorganisationen kommt auch oft in Zusammenhang  mit der Stationierung von Friedenstruppen der UN verbundenen steigenden  sexuellen Missbrauch, Frauenhandel und Zwangsprostitution in der jeweiligen Region, wie etwa in Kambodscha 1992/93 und dem Kosovo. Die wenigsten der mutmaßlichen Täter wurden gerichtlich verfolgt, weil sie unter der Flagge der UN weltweit durch Immunität geschützt sind.

 

Fazit

Die UN sehen sich gegenwärtig großen Herausforderungen gegenüber, die im weiteren Kontext der Krise des Multilateralismus betrachtet werden müssen. Der Eindruck dieser Krise lässt sich heute vor allem an der Haltung der USA unter Präsident Donald Trump festmachen, welche unter dem Motto „America first“ eine Abkehr vom Multilateralismus vollziehen. Auch in anderen Staaten herrschen zunehmend nationalistische Töne vor und werden die UN und die Grundlagen der internationalen Zusammenarbeit offen infrage gestellt, etwa in Brasilien unter dem rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Zudem haben es die UN nicht geschafft, das Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd zu verringern, noch den Klimawandel einzudämmen.

Andererseits ist es ihnen aber gelungen, eine Grundlage für internationale Strafgerichtsbarkeit (IStGH) zu schaffen und mit Sonder-Gerichtshöfen die schwersten Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda zu verfolgen. Doch die Zerrissenheit in der Frage nach Interventionen, etwa in Kosovo, gefährdete die Autorität des Sicherheitsrats. Heute lähmt die zunehmende Rivalität zwischen den Großmächten das System der UN, und durch verstärkten Nationalismus gefährden auch andere Staaten die Idee des Multilateralismus. Aber hinfällig ist die Idee der UN dennoch nicht. Trotz all ihrer Schwächen und Defizite ist sie alternativlos: Gerade heute, zum Jubiläum der UN, wird deutlich, dass Lösungen für globale Probleme nicht allein innerhalb nationaler Grenzen zu finden sind.

Bezogen auf die globale Entwicklung seit 1945 ist zumindest das Ziel der langfristigen Friedenssicherung bzw. das Gewaltverbot gescheitert. Neue Bündnisse, die in den Nachkriegsjahren aus dem Wettbewerb des Kalten Krieges hervorgingen, wie die Blockfreien Staaten fanden in den UN zusammen und konnten vorübergehend an Einfluss gewinnen. Die Charta ist ein Bekenntnis zur Kooperation aller Staaten. Sie betont deren souveräne Gleichheit und formuliert ein Bekenntnis zu den einander bedingenden drei Säulen Sicherheit/Frieden, Entwicklung und Menschenrechte sowie zu klaren Regeln der Zusammenarbeit. Die Vereinten Nationen sind das einzige universelle Forum und einzigartig in Bezug auf die Breite der Themen, die sie bearbeiten, und trotz aller berechtigter Kritik und offensichtlicher Schwächen des Systems der UN ist dieses unverzichtbar!

ao. Univ.-Prof. Dr. Otmar Höll ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Europahauses, er lehrt an der Universität Wien,an der Donau Universität Krems und im Ausland. Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen auf globalen und internationalen Problembereichen, der Österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik und der politischen Psychologie. Er war Direktor des Österreichischen Instituts für Internatonale Politik-oiip, und ist v.a. in Entwicklungs- und Umwelt-NGOs und in der Politischen Bildung seit vielen Jahren aktiv.

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