Die bescheidene und etwas bange Frage „Genügt es nicht?“ und der wohlmeinende Wunsch „Nicht auf der Erde lasten“ – beide dem Titelbild der Zeitschrift „welt(ge)wissen“ entnommen – stecken in treffender Weise das Spannungsfeld ab, in dem sich meine Ausführungen bewegen.
Denn keine Spezies lastet so stark auf der Erde wie Homo sapiens, so sehr, dass man das Zeitalter der menschengemachten und leider wohl unumkehrbaren Veränderung unseres Planeten auch als „Anthropozän“ bezeichnet hat (in der Absicht der Wissenschaftler Paul Crutzen und Eugene Störmer war das ja keineswegs als Kompliment gemeint!). Ursache vielleicht nicht aller, aber doch sehr vieler Übel ist die von den Industrienationen der Nordhalbkugel bevorzugte „imperiale Lebensweise“, deren deutlich erkennbares, aber so oft verleugnetes Erfolgsgeheimnis schlicht und einfach so lautet: „Uns wenigen geht es recht gut, weil es sehr vielen anderen richtig schlecht geht.“ Das trifft auch auf den menschengemachten Klimawandel zu, dessen Folgen wir in den reichen Ländern noch halbwegs erfolgreich bewältigen können – für die Mehrheit der Menschen auf dieser Erde sieht die Sache ganz anders aus.
Ein UN-Report hat dieses Dilemma schon vor einigen Jahren kurz und bündig so zusammengefasst:
„The rich will live a bit less comfortable. The poor will die…“
Nun aber zunächst zum heutigen Tag, zum „United Nations Day“, wie er auf Neudeutsch heißt, und zwar seit Oktober 1948 – denn drei Jahre zuvor, am 24. Oktober 1945, ist die Charta der neu gegründeten Vereinten Nationen in Kraft getreten. Bleiben wir zunächst noch kurz im Herbst 1948! Damals, also vor genau 71 Jahren, ging es in Paris noch lebhafter zu als dort ohnehin üblich: Seit dem 11. September tagte in der französischen Metropole die Vollversammlung der UN, jener neuen Weltföderation, die – wie erwähnt – drei Jahre zuvor von 51 souveränen Staaten gegründet worden war. Der Tagungsort war für „extraterritorial“ erklärt worden, unterlag also nicht mehr der französischen Gerichtsbarkeit. Just dies nutzte ein junger Amerikaner, der damals 26jährige Garry Davis (1921 – 2013), der im Krieg Pilot der US Air Force gewesen war. Er hatte am 25. Mai im Pariser Konsulat der Vereinigten Staaten seine US-Staatsbürgerschaft zurückgegeben und sich zum „Weltbürger Nr. 1“ erklärt. Um der Ausweisung als staatenloser Ausländer zu entgehen, suchte er Zuflucht auf dem Gelände des Palais de Chaillot, wo die Vereinten Nationen tagten. Er verschaffte sich auch Zutritt zum Tagungsort, wo er am 19. November 1948 nach der Rede des jugoslawischen Delegierten ans Rednerpult trat, das Wort ergriff und sagte: „Herr Vorsitzender, ich unterbreche hier im Namen des Weltvolkes, das hier nicht vertreten ist…“ Daraufhin wurde er aus dem Saal entfernt. Seine Idee aber gewann alsbald große Popularität – binnen eines Jahres hatten sich 223 801 Männer und Frauen aus 73 Ländern der von Davis initiierten Weltbürgerbewegung angeschlossen; ihr populärstes Gesicht war in der soeben gegründeten Bundesrepublik Deutschland der Schauspieler Viktor de Kowa (1904 – 1973).
Garry Davis war gewiss nur einer von vielen Protagonisten einer nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges neu entstehenden Weltbürgerbewegung, wie es sie vor 1914 ja durchaus schon gegeben hatte. Wegen seiner öffentlichen Auftritte im Jahr 1948 ist es aber sicher angemessen, hier und heute seiner besonders zu gedenken.
Die Vereinten Nationen beschäftigten sich damals, im Herbst 1948, mit einer allgemeinen Menschenrechtserklärung – fast 150 Jahre nach der „Deklaration der Menschenrechte“ durch die verfassungsgebende Versammlung des revolutionären Frankreichs am 26. August 1789. „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es auch“, hatte es vor 230 Jahren in jener berühmten und richtungsweisenden Deklaration geheißen.
Jetzt, am 10. Dezember 1948, verabschiedete die UN-Vollversammlung eine neue „Allgemeine Menschenrechtserklärung“, die internationale Gültigkeit für sich beanspruchte. Seit damals gilt der 10. Dezember eines jeden Jahres weltweit als „Tag der Menschenrechte“.
Recht genau ein Jahr später, im Dezember 1949, veröffentlichte die von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertriebene Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975) in der Zeitschrift „Die Wandlung“ einen Artikel, in dem sie – streitbar wie immer – die Meinung vertrat, dass es im Grund nur ein einziges Menschenrecht gebe, aus dem alle anderen Rechte sich ableiten lassen: das Recht, Rechte zu haben. Im Originalton:
„Dass es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben (und das heißt, in einem Beziehungssystem zu leben, wo man nach seinen Handlungen und Meinungen beurteilt wird), oder ein Recht, einer politisch organisierten Gemeinschaft zuzugehören – das wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen auftauchten, die solche Rechte verloren hatten und sie zufolge der neuen globalen politischen Situation nicht wiedergewinnen“ (Arendt 1949: 760).
Heute ist es vor allem die globale politische Situation der weltweiten ökologischen Katastrophe, die Millionen von Menschen solche Rechte raubt. Nach einem bereits erwähnten Vorschlag des Metereologen und Nobelpreisträgers Paul Crutzen (geb. 1933) wird dieses neue Zeitalter der von uns Menschen durch die von uns geschaffene Industriezivilisation bewirkten und überwiegend nachteiligen Umweltveränderungen häufig als „Anthropozän“ bezeichnet (Crutzen und Störmer 2000), es folgt auf das postglaziale = nacheiszeitliche Holozän (das seinerseits vor rund 20.000 Jahren begonnen hat).
Jenes von Hannah Arendt benannte fundamentale „Recht, Rechte zu haben“ ist auf dem Problemfeld der ökologischen Menschheitsbedrohung gegenwärtig weitgehend inexistent. Dies lässt sich zum Beispiel an einer – an sich gewiss begrüßenswerten – Entscheidung der UN-Vollversammlung vom 28. Juli 2010 zeigen: an jenem Tag, einem Mittwoch, hatte nämlich das Plenum der Vereinten Nationen auf Antrag Boliviens einmütig (das heißt: ohne eine Gegenstimme, aber bei 41 Enthaltungen) entschieden, das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser in den seit 1948 verbrieften Katalog der Menschenrechte neu aufzunehmen. Diese Entscheidung weist in einer Zeit, in der, grob geschätzt, rund 900 Millionen Menschen über einen solchen Zugang eben nicht verfügen (und die Zahl der derart Benachteiligten wächst jeden Tag weiter an!) ohne Zweifel in die richtige Richtung; sie bleibt aber zunächst ohne unmittelbare Konsequenzen, da der am Zugang zu sauberen Wasser gehinderte Mensch bislang eben kein Völkerrechtssubjekt ist und aus seinem abstrakten Menschenrecht auf sauberes Wasser deshalb keinen konkreten, soll heißen: alltagspraktisch wirksamen Rechtsanspruch ableiten kann, nun auch wirklich mit sauberem Wasser versorgt zu werden.
Das Grundprinzip eines diesen eklatanten Mangel beseitigenden Weltbürgerrechtes wäre also, abermals mit Hannah Arendt gesprochen, das Recht, Rechte zu haben, zum Beispiel jenes Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser – und zwar auch (oder gerade) angesichts der ökologischen Bedrohung.
In jener Zeit, in der Hannah Arendt als junge Studentin an verschiedenen deutschen Universitäten jene Anregungen sammelte, aus denen sie später für ihre philosophischen Arbeiten, zum Beispiel zum Thema Menschenrechte, schöpfen konnte (ein Semester hat sie ja auch in Freiburg studiert!), war ein Dokument sehr populär, das in unserer schnelllebigen Gegenwart wohl nur noch wenige Mitmenschen kennen: Der „Nansen-Pass“, im Jahr 1922 auf Anregung des berühmten Polarforschers und damaligen (ab 1921) Hochkommissars für Flüchtlingsfragen, Fridtjof Nansen (1861 – 1930, Friedensnobelpreisträger 1922) vom Völkerbund geschaffen. Dieser Pass sollte den Millionen „staatenloser“ Flüchtlinge wieder zum Recht, Rechte zu haben, verhelfen, im konkreten Fall zum Recht auf Freizügigkeit. Der „Nansen-Pass“ wurde auf Antrag von den Behörden jenes Staates ausgestellt, in dem ein Flüchtling sich aufhielt, hatte ein Jahr Gültigkeit (Verlängerung war möglich) und gab seinem Inhaber das Recht, zu reisen und in jenes Land, in dem sein Pass ausgestellt worden war, auch wieder zurückzukehren. Zunächst vor allem für Flüchtlinge aus der jungen Sowjetunion gedacht, wurde der Nansen-Pass dann auch für armenische (1924) und türkische und assyrische Flüchtlinge (1928) ausgestellt, ab 1935 auch für Emigranten aus dem Saarland. Prominente Reisende mit einem Nansen-Pass waren Rudolf Nurejew, Igor Strawinsky, Marc Chagall und Aristoteles Onassis.
Fast hundert Jahre später, im Sommer 2018, haben Wissenschaftler aus dem deutschen „Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung zu Globalen Umweltveränderungen (WBGU)“ in ihrem „Paper Nr. 9“ unter der Überschrift „In Nansens Fußstapfen“ einen – so wörtlich – „Klimapass für menschenwürdige Migration“ gefordert (WBGU 2018: 24f.)
„Migration in Zeiten des Klimawandels ist von der Natur der Sache her eine außerordentlich komplexe multikausale und kontroverse Herausforderung“, schreiben die Autoren, und stellen besorgt fest: „Leider ist festzustellen, dass klimabedingte Migration in den letzten Jahren in der internationalen Gemeinschaft zwar zunehmende Aufmerksamkeit erhalten hat, aber die rechtlichen und politischen Lösungsansätze unzureichend sind, um der steigenden Zahl betroffener Personen angemessene, rechtzeitige und gerechte Hilfe zu gewähren“ (2018: 24). Der „individuelle Ansatz“, wie die Autoren ihn mit dem Hebel des Migrationspasses bewerkstelligen wollen, „soll den einzelnen Menschen in die Lage versetzen, frei über seine Fortwanderung zu entscheiden und stellt insofern den humanistischen Gegenentwurf zur Planmigration dar. Er gibt dem Individuum Würde durch Mobilitätsrecht. Dies ist auch der Ansatz, den der WBGU zur Bewältigung der einsetzenden Klimamigrationskrise empfiehlt. Der WBGU betont, dass sichere und legale Aus- bzw. Einwanderung nicht nur die ultima ratio der Anpassung an den Klimawandel ist, sondern den Betroffenen als Kompensation für die mit ihrem Heimatverlust einhergehenden vitalen und kulturellen Verluste und Schäden auch zusteht“ (ebenda: 25).
Man beachte die Formulierung: auch zusteht – denn damit sind wir wieder beim „Recht, Rechte zu haben“. Dazu wird gleich noch Einiges zu sagen sein.
Bevor ich aber das „Recht, Rechte zu haben“ unter den Bedingungen der globalen Umweltkatastrophe und der von ihr bewirkten weltweiten Migrationskrise näher erläutere, will ich mich, da gerade bei diesem Thema äußerst passend, noch kurz dem „geistigen Vater“ des Weltbürgertums widmen, dem Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804).
Immanuel Kant gilt weltweit als der größte Philosoph deutscher Sprache. Sein Traktat „Zum ewigen Frieden“ erschien erstmals im Jahre 1795. Der Königsberger Denker – bei der Veröffentlichung dieser Schrift schon über siebzig Jahre alt – hat in diesem Essay bekanntlich drei „Definitivartikel“ zur Gewährleistung eines ewigen Friedens formuliert. Im ersten dieser Artikel wird gefordert, dass die Verfassung aller Staaten republikanisch sein, d. h. auf der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus fußen solle; im zweiten, dass sich die Staaten der Erde zu einer Föderation, einem „Völkerbund“ zusammenschließen mögen (eine einheitliche Weltrepublik hielt Kant für eher nachteilig und der Despotie förderlich). Zweihundertdreiunddreißig Jahre später kann gesagt werden, dass die Welt diesen „Definitivartikeln“ durchaus näher gekommen ist. Von den souveränen Staaten, die Mitglied der Vereinten Nationen sind, ist gewiss eine sehr viel größere Zahl zumindest dem Buchstaben nach republikanisch verfasst als zu Kantens Zeit, als dies ja im strengen Sinne nur von den Vereinigten Staaten von Amerika und von Frankreich nach dem Sturz der jakobinischen Terrorherrschaft hatte gesagt werden können. Und jene Staatenföderation, die Kant seinerzeit angeregt hatte, ist gemäß den berühmten „14 Punkten“ des US-Präsidenten Woodrow Wilson im „Völkerbund“ des Jahres 1919 geschaffen und nach dem recht unrühmlichen Scheitern dieses Bundes in Gestalt der „Vereinten Nationen“ im Jahre 1945 erneut gestiftet worden.
Der Königsberger hat sich insoweit als weit vorausblickender Realist erwiesen, obschon er seinerzeit noch einräumen musste, dass eine Friedensphilosophie wie die seine wohl allgemein verlacht werde.
Es mag allerdings angeraten sein, sich nun Kantens Dritten Definitivartikel näher zu betrachten, dem gerade in Zeiten der „Flüchtlingskrise“ eine besondere Brisanz innewohnt:
In diesem Artikel hatte Kant ein „Weltbürgerrecht“ gefordert, dessen Kern eine „allgemeine Hospitalität“ sein solle – ein Recht „welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden müssen“ (Kant 1977 [1795]: 214).
Kant wusste sehr gut, welche Art von Realpolitik diesem „Weltbürgerrecht“ entgegensteht, denn im Gegensatz zu vielen anderen Philosophen seiner Zeit hatte er einen klaren Begriff von der Brisanz jenes Verhältnisses, das wir heute „Nord-Süd-Konflikt“ zu nennen pflegen. Vergleiche man, so meinte er, mit der von ihm geforderten weltweiten Hospitalität „das inhospitale Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Weltteils, so geht die Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln, das Kap etc. waren, bei ihrer Entdeckung, für sie Länder, die keinem angehörten; denn die Einwohner rechneten sie für nichts“ (ebenda: 214f.).
Es sei, zwecks besserer Durchdringung des Problems, noch erwähnt, dass Kant sich unter anderem von zwei Entwicklungstendenzen Unterstützung für sein Programm erhofft hat: Von der Entstehung der Weltwirtschaft mit der friedensstiftenden Kraft des Handels und insbesondere „der Geldmacht“, desgleichen von der Herstellung der „Weltöffentlichkeit“, d. h. von einem Gemeinsamkeitsempfinden, mit dem es so weit gekommen sei, „dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“ (ebenda: 216).
Unter dem Eindruck der Massaker des Ersten Weltkrieges betonten rund 130 Jahre später etliche europäische Intellektuelle die Bedeutung eben dieses Gemeinsamkeitsgefühls, so etwa der Schriftsteller Stefan Zweig (1881 – 1942), der den Kriegsbeginn als Augenzeuge miterlebt hatte:
„Wie nie fühlten Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: dass sie zusammengehörten…“ (Zweig 2013 [1942]:299).
Rund zwei Jahrzehnte später, im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ und nicht lange vor dem Ausbruch eines neuen Krieges mahnte der Arzt und Kulturkritiker Sigmund Freud (1856 – 1939) in der Antwort auf einen Brief des Pazifisten Albert Einstein (1879 – 1955), den dieser im Auftrag des Völkerbundes an ihn geschrieben hatte:
„Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegenwirken…“ (Freud 1996 [1933]: 27).
Sehen wir genau hin, erkennen wir allerdings eine durchaus ambivalente Entwicklung. Welthandel und „Geldmacht“ im Sinne Kants haben zwar eine globale Wirtschaftsgemeinschaft erzwungen, innerhalb deren jedoch die schreiendste Ungerechtigkeit herrscht, was auf lange Sicht genügend Anlass für Gewalttätigkeiten aller Art, Unruhen, Revolten und Bürgerkriege bildet – und eben auch für eine immer stärkere Migration. Die Unterhöhlung des Nationalstaates durch diese Art von Weltwirtschaft führt zudem quasi zu einer „Entstaatlichung“ der Kriege, damit auch zur Entwertung der herkömmlichen diplomatischen Methoden zur Schadensbegrenzung, wie dies seither auf vielen Kriegsschauplätzen deutlich sichtbar geworden ist. Dies ist der negative Aspekt jener ambivalenten Entwicklung.
Und auch mit der Weltöffentlichkeit steht es kaum besser. Negativ muss vermerkt werden, dass die gegenwärtige „Weltöffentlichkeit“ zumindest partiell von mächtigen Kartellen und Interessengruppen inszeniert wird und dass ihr nur teilweise ein echtes Gemeinschaftsgefühl, häufig aber weit mehr eine Art von sensationsgieriger Schaulust zugrunde liegt, die durchaus dem Diktum aus Goethes „Faust“ zu folgen scheint: „Sie mögen sich die Schädel spalten – Nur in der Heimat bleib’s beim Alten!“
So bleibt also festzustellen, dass der großartige Kantische Entwurf eines Weltbürgerrechtes – als entscheidende Vorbedingung zur Schaffung einer friedlichen Welt – immer noch der Verwirklichung harrt, obschon die globale Lage heute in manchen Einzelheiten günstiger scheint als im Jahre 1795, um einen entscheidenden Schritt weiterzukommen.
Dieser entscheidende Schritt wäre die Schaffung weltbürgerlicher Anrechte, zum Beispiel auf Aus- und Einwanderung, also, mit Hannah Arendt gesprochen, zu der wir damit zurückkehren, das Recht, Rechte zu haben – und zwar auch (oder gerade) angesichts der ökologischen Bedrohung. Noch etwas präziser in Worte gefasst, geht es um den konkreten und damit auch vor Gericht verfolgbaren Rechtsanspruch, sich gegen die Folgen des ökologischen Desasters – etwa die Überflutung des eigenen Wohnortes – zur Wehr setzen zu dürfen. Es ist ja bekannt, dass die Einwohner des pazifischen Inselstaates Kiribati bereits vor geraumer Zeit bei den Vereinten Nationen einen kollektiven Antrag auf Asyl gestellt haben – für den in Bälde zu erwartenden Ernstfall der Überflutung ihres Heimatlandes. Dies ist derzeit nicht mehr als ein reiner Appell ohne rechtliche Bindungswirkung. Genau daran muss sich etwas ändern. Wer, wie die reichen Industrienationen dieser Welt, durch eine luxuriösen Lebensstil leichtfertig die Lebensgrundlagen anderer ruiniert, muss dazu verpflichtet werden, diesen im Ernstfall auch bei der Bewältigung ihrer Notlage behilflich zu sein. Dies wäre im Grunde nichts anderes als eine völkerrechtliche Umsetzung des Verursacher-Prinzips: Polluter pays. Just dies unterstreicht auch der WBGU: „Um die Regelung klimabedingter Migration gerecht zu gestalten, betont der WBGU die zentrale Rolle des Verursacherprinzips. Es sollte die Grundlage für die Entscheidung sein, welche Nationen sich zur Aufnahme von Personen mit Klimapass verpflichten. Länder mit großem Beitrag zum Klimawandel sollten den existenziell Leidtragenden Wege und Rechte für eine würdevolle Zukunft eröffnen. Sie tragen eine erhebliche Verantwortung für die Migrationsursachen der Betroffenen und sollten sich bevorzugt verpflichten, den Inhaber*innen des Klimapasses Einreiseoptionen zu gewährleisten“ (2018: 29).
Wie die noch zu schaffenden Regelungen am Ende en detail auch aussehen mögen – eine Entwicklung in diese Richtung ist jedenfalls nur dann möglich, wenn erstens der
ökologisch benachteiligte Mensch zum Rechtssubjekt mit konkreten Rechten geworden ist (eben durch das zu schaffende Weltbürgerrecht) und wenn zweitens Instanzen geschaffen werden, vor denen er recht-liches Gehör finden und sein Recht gegebenenfalls auch durchsetzen kann – nötigenfalls auch gegen Widerstreben. Selbstverständlich müssen dazu unter dem Dach der Vereinten Nationen entsprechende neuartige Institutionen geschaffen werden, aber es gibt keinen ein-leuchtenden Grund, dessentwegen dies grundsätzlich unmöglich sein sollte, schließlich hat die Weltgemeinschaft es ja auch geschafft, den am 17. Juli 1998 gegründeten Internationalen Strafgerichtshof Wirklichkeit werden zu lassen (International Criminal Court, ICC; sein Statut trat am 1. Juli 2002 in Kraft, seine Arbeit hat der Gerichtshof am 16. 6. 2003 aufgenommen.).
Ein ökologisch orientiertes Weltbürgerrecht wäre somit ein wesentliches – zugleich freilich ein in seiner konkreten Gestaltung erst noch zu konstruierendes – Werkzeug, wenn es darum gehen soll, die Anpassung an den unaufhaltsamen Klimawandel in einer Art und Weise zu bewältigen, die weltweit Frieden und Gerechtigkeit nicht beeinträchtigt, sondern, wo immer nötig, weiterhin stärkt und festigt. Als globale Bewältigungsstrategie wäre es wohl mindestens ebenso wichtig wie der Handel mit Emissionsrechten, die Förderung von erneuerbaren Energien und der Aufbau eines von fossilen Kraftstoffen unabhängigen Verkehrswesens.
Ich komme nun zum Ende – und das will ich mit einem Gedicht von Rose Ausländer (1901 – 1988) tun, die, fünf Jahre älter als Hannah
Arendt, im multikulturellen, damals habsburgischen Czernowitz geboren wurde und eben dort in einem Versteck die nationalsozialistischen Judenpogrome überlebte. In ihrem Gedicht „Gemeinsam“ heißt es:
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